Im Talkessel der Südtiroler Hauptstadt Bozen, dort wo der E5 Nordteil endet, beginnt der E5 Südteil und der Gesamtteil III des Mainzer E5-Programms. Nach längerer Anreise bringt uns ein letztes Mal eine Seilbahn eine kurze Strecke von Bozen hinauf zum Ausgangsort Bauernkohlern (1.136 m).
Aufsteigend durch Wald und Wiesen startet am folgenden Morgen die Fortsetzung der Alpenüberquerung auf dem Weg nach Süden. Die erste Tagesetappe ist nicht besonders schwierig, aber wegen ihrer Länge durchaus anstrengend. Nachdem wir den hübschen Südtiroler Ort Deutschnofen durchwandert haben, zieht unser Weg in der Mittagssonne durch die Nockberge, vorbei an 14 Kreuzwegstationen, schweißtreibend hinauf zum Kloster Maria Weißenstein (1.520 m). Am bedeutendsten Südtiroler Wallfahrtsort mit 450jähriger, bewegter Geschichte ist der Wanderer schon etwa fünf Stunden unterwegs. Zeit für eine Mittagsrast. Denn noch ca. zweieinhalb Stunden anstrengender Weg warten auf ihn. Die Lage des Klosters eröffnet schöne Ausblicke zum Schlern, Rosengarten, Latemar und Weißhorn. Nach gut einer Stunde Fußmarsch ist einer der größten Canyons der Alpen erreicht, die Bletterbachschlucht. Seit der letzten Eiszeit vor ca. 15.000 Jahren hat sich der Bletterbach eine etwa acht km lange und bis zu 400 m tiefe Schlucht gegraben und dabei fast 250 Millionen Jahre Erdzeitgeschichte freigelegt. Der E5 quert die Schlucht auf steilem Pfad hinab und auf der Gegenseite wieder hinauf. Nach einer weiteren Stunde sind wir in Oberradein. Dort übernachten wir in einem schönen alten Erbhof, dem Thomaserhof (1.552 m).
Durch viel Wald geht es am nächsten Tag weiter. An heißen Tagen wird der Wanderer dafür dankbar sein. Die zweite Etappe hat nicht so viele Höhepunkte wie die des Vortages. Zunächst geht es steil hinunter nach Unterradein (1.090 m) und weiter nach Kaltenbrunn (984 m). Des Absteigens ist dort zunächst genug. Der E5 führt jetzt hinauf zum Südtiroler Bergdorf Truden (1.127 m) im Herzen des Naturparks Trudener Horn. Truden ist der südlichste Ort des deutschen Sprachgebietes in Südtirol. Es wurde vor gut 1.000 Jahren von den Langobarden besiedelt. Auf stetig ansteigendem Weg führt der E5 nun weiter aufwärts zum Gampensattel (auch Cisa- oder Zissattel 1.439 m) zur schönsten und aussichtsreichen Stelle des Tages, zur Hornalm (1.718 m). Wie schon am ersten Tag gestattet die Lage der Alm einen herrlichen Blick zurück nach Oberradein, zum Weiß- und Schwarzhorn, zu den Dolomitengebirgszügen Schlern, Rosengarten, Latemar und jetzt auch zur Pala. Paradiesisch breitet sich über dem Fleimstal (Val di Fiemme) das Lagoraigebirge aus, der dominante und anspruchsvollste Gebirgszug des E5 Teil III. Am 4. und 5. Tag werden wir ihn durch- und mehrmals überqueren. Auf leichten Wegen und Pfaden geht es von der Hornalm hinab zum Etappenziel Gfrill (1.328 m), hoch über dem Etschtal. Bei Ingrid im Fichtenhof genießen wir nicht nur das vorzügliche Abendmenü, sondern auch die herrliche Aussicht nach Norden und Süden des Etschtales sowie auf die auf der anderen Seite des Flusses dominierenden Gebirgsformationen Brenta- und Adamellogruppe.
Zunächst durch den Salurner Wald, der „grünen Lunge Italiens“, folgen wir dem E5 auf der dritten Etappe. Hoch über Salurn verlassen wir das Etschtal und den zweisprachigen Sprachraum. Die Salurner Klause, die engste Stelle des Etschtales, ist seit jeher Sprachund Ethniengrenze zwischen germanischen und romanischen Völkern. Ab hier gilt nur noch italienisch. An den Wegtafeln haben wir es längst bemerkt. Wir sind im „richtigen“ Italien. Unser Weg führt nun vom Etschtal weg via Cembratal. Nach bisher etwa vier Stunden Gehzeit kommen wir am Mittagsziel Lago Santo (Heiliger See 1.195 m) an. Auf dem Dürerweg steigen wir nach der Mittagspause auf steilem Pfad hinunter nach Cembra (665 m). Der Weg ist nach Albrecht Dürer benannt. Er war vor gut 500 Jahren auf seinem Weg nach Süden hier und hat mit zwei Aquarellen („Welsch Gepirg“ und „Welsch Schlos“) Spuren hinterlassen. Der Empfehlung, die Etappe in Cembra zu beenden, folgen wir nicht. Angesichts der anspruchsvolleren zweiten Tourhälfte verlängern wir die heutige, bis dahin leichteste Etappe, um zwei Stunden. Ein Stück entlang der Straße führt uns der E5 durch das Dorf Faver und hinunter auf den Talgrund des Avisio (529 m). Der Fluss wird von den Gletschern der Marmolada gespeist. Vorbei am Castello Segonzano (566 m) steigen wir steil auf zum Etappenziel Segonzano (670 m).
Der zweite Teil der Tourenwoche fordert unsere Kraft und Kondition! Und es wird ausgesprochen alpin bis hochalpin. Wir verlassen den E5 Normalweg und sind etwa zwei Tage auf der E5-Alpinvariante durchs Lagoraigebirge unterwegs. Die vierte Etappe beginnt moderat ansteigend. Etwa solange, bis wir an den Erdpyramiden von Segonzano vorbei das Trentiner Bergdorf Centrale (1.220 m) erreichen. Der Anstieg wird jetzt heftiger. Bis zur Malga (Alm) Stramaiolo (1.831 m) sind es schon ca. 600 hm. Von dort sind wir in gut einer Stunde am aussichtsreich gelegenen sehr schönen Rifugio Tonini (1.906 m). Mittlerweile wird es Zeit für eine Mittagspause.
Danach beginnt der anstrengendste aber schönste Teil des Etappentages. Nochmal über 200 hm geht es über die Baumgrenze hinaus in den Fels des Lagoraigebirges. Kräftezehrend im Auf und Ab, ständig am Kamm, Grat der Lagoraikette entlang, über die Pässe Val di Mattio (2.258 m), Cagnon (2.100 m), über die kuppelförmige Erhebung des Monte Conca (2.301 m) und dem Passo di Palu (2.121 m) kommen wir in einer Gehzeit von weiteren vier bis fünf Stunden zum unserem Tagesziel, dem Rifugio Sette Selle (2.014 m).
Mit der fünften Etappe setzt sich die anspruchsvolle Lagoraidurchquerung nahtlos fort. Am Nordhang des Cima Sette Selle steigt die Wegführung durch Fels hinauf bis knapp unter den Gipfel des Cima Sasso Rotto (2.396 m). Am weiteren Steig lassen sich Blockwerk und erste Kriegsstellungen aus dem 1. Weltkrieg finden. Weitere Zwischenziele am Weg sind der Forcella delle Conelle (2.198 m), Cima de Cave (2.292 m), Monte del Lago (2.327 m). Am Forcella del Lago (2.213 m) sind wir wieder auf der E5-Normalroute zurück. Aber auch die verläuft hier anspruchsvoll alpin. Zunächst geht es auf einem Gratweg entlang einer Nordwestflanke des Hoabonti bis zum Passo la Portella (2.152 m). Sollte die Gruppe bis dahin Ermüdungsanzeichen zeigen, gibt es ab hier eine Wegvariante auf einfacherem Steig/Weg weiter zum Tagesziel. Ansonsten stehen dem Wanderer noch zwei Gipfelbesteigungen bevor. Zunächst etwa 200 hm steil hinauf auf den Monte Gronlait (2.383 m). Herrliche Panoramablicke entschädigen die Mühe. Ein weiterer Gratweg führt über Grashänge zur Forcella Fravort (2.160 m) und von dort hinauf zum Monte Fravort (2.347 m). Der weitere Weg zum Tagesziel führt vom Gipfel zunächst steil, später moderat durchweg bergab. Nach gut zwei Stunden ist das Etappenziel Vetriolo Terme (1.500 m) erreicht.
Auf der sechsten und letzten Etappe der Tourenwoche von Vetriolo Terme nach Carbonare benutzen wir zunächst ausnahmsweise den Bus hinunter nach Levico Terme (507 m). Zu Fuß würde der wenig attraktive Abstieg auf Straße und durch Wald (10 km und 1.000 hm) die Tour zu lange werden lassen (ca. 30 km). Die Etappe wird auch so noch lange und kräftezehrend genug. Levico Terme ist eine beliebte und schöne norditalienische Kurstadt. Wir wandern durch ihr Herzstück und queren etwa auf einer Länge von fünf km das Valsugana, in der die Brenta fließt. Meist bekommen wir dabei unerwünscht viel Schwüle und Mittagssonne mit. Immer leicht ansteigend erreichen wir nach gut einer Stunde St. Giuliana .Jetzt geht es hinauf via Hochebene von Lavarone. Nach knapp 800 hm auf steilem Pfad durch das Val Pisciavacca sind wir an einer Hütte (Baita del Cangi 1.370 m) dann oben. Die restlichen gut 10 km nach Carbonare (1.074 m) sind zum Auslaufen einer Tourenwoche geradezu geeignet.
Text: Manfred Neuber